INTUITIVES SCHREIBEN: GESCHICHTEN ZUM LESEN

Okt 25, 2022 | 0 Kommentare

Hier kann man einige Geschichten von der Schreibwerkstatt mit Diana Ivanova am 15.Oktober in Altenahr lesen. Ein Geschenk an Werk&Tal von den Autoren.

Und was hast Du gesehen?

Jan Wiegand

“Und was hast du gesehen?”, werde ich gefragt, als ich von der Ahr zurückkehre.
„Nichts”, antworte ich, ‘alles was mal gewesen ist, ist weg.“
Ich habe nur Spuren, Reste, Überbleibsel gesehen.
Ruinen notdürftig verbarrikadiert,
Fassaden und Etagen farblos, leblos, irgendwie ausrangiert.
Andere Häuser bereits, teilweise restauriert
An einigen Stellen blitzt und blinkt es schon wieder,
bestens saniert, herauspoliert,
Aber dort wo ich jetzt stehe, wo vor einem Jahr nichts als Wasser war,
ist es still, es plätschert, es tröpfelt nur.
Ein Bächlein rauscht vor sich hin.
Das Bächlein heißt Ahr.
Das was in jener Nacht war, ist nicht mehr da.
Ist weg, verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Das, was jetzt da ist, ist das, was das Wasser hinterlassen hat.
ist nur das, was übriggeblieben ist.
Stumm, dunkel, still liegt da, unbewegt.
Teilweise verlassen, vergessen, liegen geblieben.
So wie das Wasser es zurückgelassen hat,
Und nur der Geruch ist noch da,
in den Kellern, in den Mauern, in den Ritzen.
Das Gestrüpp an den Balkonen, das Geäst an den Gittern,
Die zerbrochenen Mauerstücke,
die zersplitterten Fensterläden im ersten Stock,
sie sind noch da.
Die Menschen sind noch da,
andere sind weg,
weil sie es nicht ertragen haben,
Auch die Wasserflut ist weg.
Aber die Angst derjenigen,
die dabei waren, in dieser Nacht
ist es noch da,
die Erinnerung an das Grummeln,
das Rauschen, das Brechen und Bersten,
das Beben und Reißen.
Jetzt plätschert es wieder.

IN STILLE

Antje M.

In Stille wirkt die Zerstörung von Altenahr auf mich, das Durcheinander, die Kontraste von vor einem Jahr und Jetzt.

Es war einmal …

Ein Ort der vom Weinanbau lebte.
Auch ich kenne ihn von vor der Flut. Den Gegensatz zu heute, nehme ich erschüttert beim Gehen wahr.

Ich visualisiere Häuser, die entkernt sich präsentieren. Hier und da Spuren alter Heimat. Die Gardine in Farbe des Schlammes getaucht, wird leicht durch den Wind in Bewegung gebracht.
Der Lampenschirm ebenfalls an der Decke, zeigt sich von Schlammspuren erinnert.
Beide geben dem Raum, der Wunden Lebendigkeit zurück.

Ich erahne das Bild der einstigen Gastwirtschaft. Jetzt lehnt ein Besen an der Wand mit Rissen.
Wo früher Putz war und vielleicht unmittelbar davor ein Stuhl stand, zum Sitzen, um Wein des Ahrtals zu genießen.

Ich erinnere mich an den Zwiebelkuchen, den wir zum Federweißer bekamen, als wir Freunden aus der Heimat das alte Ahrtal präsentierten.
Ebenfalls im Herbst.
Ein anderer, als heute.

DIE SEILBAHNSTRAßE

Diana Ivanova

Die Seilbahnstraße in Altenahr entdecke ich etwas später. Am Anfang der Straße liegt der Weinkeller „Das Fässchen“. Völlig entkernt. Nur die Wände tragen noch Wappen und Zeichnungen von europäischen Ländern. Die Disko Nummer eins von Altenahr. Den Besitzer, Rudi, lerne ich kennen. Wir sprechen paarmal zusammen. Einmal, beim Besuch in den Keller für einen Workshop, kommt ein altes Paar auf die Straße entgegen. Ist das Fässchen geöffnet? Was für eine komische Frage, denke ich. Ja, sage ich, wir singen gleich da. Kommt rein. Die beiden kommen runter und die Dame beginnt sofort zu erzählen, „was für Nächte wir hier verbracht haben, hier stand die Bar, hier war der DJ, das war im Zentrum des Geschehens…immer voll…Jeder kennt das Fässchen…und jetzt? Oh mein Gott. Oh mein Gott…“

Was verursacht unser Leiden? Die verlorenen Orte? Oder die Erinnerungen, die jetzt heimatlos bleiben?

Wir sitzen eine Weile in Stille. Der alte Mann sagt kein Wort. Ich kann nichts sagen, flüstert er.

Weiter unten in der Seilbahnstraße ist der Winzer Lukas Sermann. Der einzige Winzer in Altenahr. Gegenüber – der Friedhof. Ganz in der Nähe auf der Seite – die schicke und wieder renovierte Bar Weineck. Etwas später erfahre ich, dass Weineck den Opa Bodo in der Flut verloren hat. Lukas erzählt mir bei unserem einzigen Gespräch, wie das erste was er gesehen hat, morgens nach der Flut, ein Fisch war. „Ich wusste nicht, dass es in der Ahr solche riesigen Fische gibt. Er war im Zimmer, im ersten Stock und zuckte noch.“

Dieser Fisch bleibt für immer in mein Gedächtnis.

Jetzt, wenn ich durch die Straße spaziere, weiß ich, dass es am Anfang ganz laut war, dass der Opa Bodo nicht mehr da ist und daß am Ende der Straße ein großer Fisch zu überleben versuchte.

Endlich wieder

Jan Wiegand

„Hat einer den Opa gesehen?“ ruft jemand über den Hof.
„Keine Ahnung!“
Kinder laufen schreiend durchs Haus, über die Terrasse ans Ufer der Ahr.
„Bitte aufpassen, dass mir keiner reinfällt“, ruft Oma hinterher.
„Aber Oma, ist doch alles ganz niedrig, da kann doch nichts passieren.“
Derweil im Haus, geschäftiges Treiben. Die erste große Familienfeier, nach drei Jahren, erst Corona, dann die Flut. Aber jetzt das große Treffen im Spätsommer, mitten im Zentrum, wer hätte das gedacht. Runder Geburtstag und alle dabei. Endlich wieder ein bisschen Normalität, so wie früher.
„Wir brauchen noch Tischdecken, wo sind die Kissen, wir brauchen noch Stühle?“
„Alles in der Garage, wenn ihr dort was findet. Ist nämlich alles ganz grau, noch voller Schlamm. Müsst ihr noch abwaschen, bevor was zu gebrauchen ist.“
Irgendwie schön diese Betriebsamkeit, wenn auch reichlich chaotisch. Und diesmal sind sogar Übernachtungsplätze für die ganze Familie hier im Haus. Alles kein Problem, im zweiten Stock, alle Gästezimmer frei, unversehrt, noch nicht in Betrieb. Nur die Betten müsste man noch neu beziehen.
Und sonst? Die Küche im Erdgeschoss immer noch dunkel und leer, dafür fahrbares Catering vor der Tür. Sanitär, immer noch nicht fertig, aber der Aufzug geht. Kein Problem, Toiletten gibt´s im zweiten Stock, für alle barrierefrei benutzbar.
Zwischendurch immer wieder Fragen über Fragen: Wo gibt’s noch Servietten, wo ist das Besteck geblieben? Geschirr größten Teils kaputt, dafür alles vom Nachbarn geliehen. Es wird getragen, gedeckt, Kartons mit Wein gehoben. Der Gute Blanc de Noir, direkt von hier.
„Wo ist denn der Opa geblieben?“
„Ich habe ihn nicht gesehen.“
„Er muss doch irgendwo sein.“
„Ich glaube er hat sich in sein Zimmer verzogen.“
„Zimmer 62”, ruft jemand durchs Treppenhaus.
Als die Tür sich öffnet, sitzt der alte Mann auf dem Bett. Beine und Knie hochgezogen, fest umschlungen, zitternd und bibbernd.
„Was ist denn los mit dir?“
„Und wenn es zurückkommt?“ , fragt er mit weinerlicher Stimme.
„Aber Opa, das kommt doch jetzt nicht wieder.“
„Ja, das sagt ihr immer.“

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